Geburtsbericht Marlene

Geburtsbericht Marlene

 

Dein errechneter Geburtstermin war der 22.06.2022. Du hast uns neun weitere Tage auf Dich warten lassen. Das Warten war schrecklich. Ich wollte Dich doch endlich in den Armen halten, habe mich gefühlt, wie ein Walross am Strand und die ständigen Fragen, ob es denn nun schon losgehe, haben ihr Übriges zu meiner guten Laune beigesteuert. Und dann ging es auf einmal irgendwie los…

Am 01.07.2022 bin ich um fünf Uhr morgens aufgewacht, weil ich dringend mal auf die Toilette musste. Während ich so im Halbschlaf vor mich hin taumelte, nahm ich das erste Ziepen im Bauch und im Rücken wahr. Also verbrachte ich die Zeit auf dem Klo mit Fragen wie: „Geht es jetzt los oder doch nicht?“ und „sind das Wehen oder nur Schwangerschaftszipperlein?“ Nach dem schlaftrunkenen Pipi-Stopp bin ich wieder zu Deinem Papa ins Bett geklettert und habe mich einfach nochmal schlafen gelegt. Schließlich wird einem das so im Geburtsvorbereitungskurs eingetrichtert. Du bist mein erstes Kind und nach allem, was man so hört, kann das ja dann noch dauern – Spoiler alert: Hat es dann auch.

Als Dein Papa und ich dann so um 9 Uhr aufgestanden sind, habe ich erstmal nichts von diesem Ziepen im Bauch und Rücken erzählt. Nach einer Weile hat er mich gefragt, was denn eigentlich los sei. Also habe ich ihm etwas wie: „Ich glaube vielleicht, ganz eventuell, dass ich da leichte Wehen habe und es möglicherweise losgehen könnte“ erzählt. Ehrlicherweise habe ich keine Ahnung gehabt, wie aufgeregt er war, ich war es aber ziemlich… Bis zum Vorsorgetermin notierten wir fleißig die Wehen. Acht bis zehn Stück die Stunde mit einer Dauer von 60 Sekunden. Beim Vorsorgetermin selbst starteten wir die übliche Routine – pinkeln gehen, wiegen und ab in das Gespräch. Ich äußerte, dass ich mir nicht sicher sei, ob ich vielleicht Wehen habe. Das CTG bestätigte eine leichte Wehentätigkeit – ich war voller Vorfreude und Aufregung. Nora, unsere Hebamme, hat mich wie erwartet darauf vorbereitet, dass es jetzt noch dauern kann und ich selbstverständlich jederzeit anrufen könne.

Zu Hause angekommen musste Dein Papa noch arbeiten. Ich habe den ganzen Tag bis zum frühen Abend so vor mich hin geweht und mich gefragt, wie lange Du Dir eigentlich noch Zeit lassen willst. So um 18 Uhr nach dem Essen wurden die Wehen stärker und ich begann die im Vorbereitungskurs geübten Positionen auszuprobieren. Über die Nacht wurden die Wehen intensiver, Dein Papa unterstützte mich, wo er nur konnte, und fand noch mehrmals die Ruhe für kurze Powernaps – Boah, war ich neidisch, dass er noch Schlaf gefunden hat. Bis fünf Uhr morgens am 02.07.2022 spazierte ich durch die Wohnung, hing mich in unsere Türrahmen, hüpfte rein in die Wanne und wieder raus und veratmete Wehe um Wehe. Dann erlitt ich den ersten Motivationsdämpfer. Nach einer beschissen schmerzhaften Wehe lag ich neben deinem Papa im Bett und weinte. Ich weinte vor Frustration, dass gefühlt nichts voran ging. Ich weinte vor Hilflosigkeit, da ich als Erstgebärende weder Ahnung hatte was abging noch wie ich mir aus dem Motivationsloch helfen konnte. Wir diskutierten, ob wir Nora aus dem Bett holen sollten. Ich beharrte darauf, sie noch bis 6 Uhr schlafen zu lassen, da ich die paar Wehen schon noch allein hinkriegen wollte. Dann rief Dein Papa Nora um kurz vor sechs an und wir verabredeten uns um viertel vor sieben beim Geburtshaus.

Dein Papa brachte unsere fertige Geburtshaustasche und deinen Baby-Sitz zum Auto, rannte zum Bäcker, holte Brötchen und dann mich. Im Geburtshaus angekommen liefen wir in den Geburtsraum. Ich schnappte mir den Ball und wir unterhielten uns so gut es neben den Wehen ging mit Nora. Sie untersuchte mich und sagte mir: „Der Muttermund ist schon fünf Zentimeter auf.“ Das hat mich unfassbar beruhigt und motiviert. Ich hatte Angst, er könne weniger geöffnet sein. Die Veränderung der Räumlichkeit tat mir gut und half mir, mich wirklich darauf einzulassen, dass ich ein Kind zur Welt bringen würde. Nora gab uns immer wieder Impulse, die mir mal mehr, mal weniger halfen. Zunächst gingen wir draußen spazieren und bei jeder Wehe mussten wir anhalten. Ich hing mich an Deinen Papa und veratmete die Wehen. Die nächsten Stunden waren davon gekennzeichnet, dass die Wehen immer schmerzhafter wurden. Im Geburtshaus rannte ich die Treppen hoch und runter, lag auf der linken Seite im Bett, lag auf der rechten Seite im Bett, hing im Vierfüßler-Stand auf dem Ball und groovte mich ein. Dein Papa schuckelte mein Becken, hielt mir eine Wärmflasche in den Rücken und ließ sich lächelnd die Hände zerquetschen. Falls er mal eine Pause brauchte, sprang Nora für ihn ein. Wenn eine Position besonders schmerzhaft war, dachte ich daran, was meine Mama mir mit auf den Weg gegeben hatte: „Bleib in den Positionen, die besonders schmerzhaft sind, denn die sind am effektivsten, um die Geburt voranzubringen.“ Also verharrte ich so lange wie möglich in den schmerzhaften Positionen. Zwischendurch aß und trank ich, Nora erinnerte mich immer mal wieder daran. Auf meinen Wunsch checkte sie erneut, wie weit der Muttermund sich schon geöffnet hatte. Dass er weiter aufgegangen war, motivierte mich weiter durchzuhalten. Irgendwann wurden die Schmerzen im Rücken so stark, dass ich in den Pausen nicht mehr entspannen konnte. Nachdem ich von einer Toilettenpause zurückkam, weinte ich erneut. Motivationsloch Nummer zwei war erreicht. Nora offerierte mir erneut in die Wanne zu steigen. Mit den Rückenschmerzen erschien sie mir wie eine Rettung. Sobald ich in der Wanne war, merkte ich deutlich, wie die Rückenschmerzen gelindert wurden. Die Wehen kamen und gingen, ich konnte in den Pausen wieder Kraft sammeln. Irgendwann setzte das Tönen ein, zu dem ich mich während des Vorbereitungskurses einfach nicht durchringen konnte – ich fand das so peinlich und komisch.  Nachdem langsam der Pressdrang einsetzte, checkte Nora, ob der Muttermund weit genug geöffnet war. Du lagst schon ganz tief in meinem Becken und hattest noch einen Zentimeter Muttermund über deinem Köpfchen. Nora fragte mich: „Ist es in Ordnung für Dich, wenn ich versuche, das Stückchen Muttermund per Hand zur Seite zu schieben?“. Nachdem ich zustimmte, lehnte ich mich im Pool zurück. Das Ganze tat weh und war echt unangenehm, aber es funktionierte. Danach konnte Dein Papa seine Hand nicht mehr spüren.

Irgendwann in der Übergangsphase sagte Nora mir, dass es noch dauern könne und ich antwortete lapidar: „Ok.“ In diesem Moment passte gerade alles und ich dachte mir: „Sammle nochmal Kraft, bevor es richtig ans Eingemachte geht.“ Als mein Körper anfing die Presswehen mit voller Wucht durch mich durchzujagen, hatte ich am meisten zu kämpfen. Nora erklärte, es könne locker noch eine Stunde dauern, bis Du bei uns wärst. Ich musste mich tierisch motivieren und sagte mir ständig: „Gleich kann ich mein Baby in den Armen halten.“ Ich hatte das Gefühl, dass meine komplette Vagina zerreißt und war davon überzeugt, dass meine Schamlippen und mein Damm zerstört sein werden. Auf einmal ging dann alles doch viel schneller als erwartet. Dein Köpfchen war schon zu sehen und Nora ermutigte mich Dich rauszuschieben. Trotzt der tierischen Schmerzen konnte ich mich gegen diese Urgewalt nicht wehren und presste Dich hinaus. Ich schaffte es nicht ganz dein Köpfchen mit einer Presswehe auf die Welt zu befördern. In der tiefen Hocke versagten mir die Beine und Dein Papa musste mich halten. Nora motivierte mich Dich mit den nächsten zwei Wehen zügig auf die Welt zu begleiten. Dann tauchtest Du durch den Pool in die Welt und schriest erstmal nicht. Alles um mich herum wurde hektischer. Ich war viel zu erschöpft, um das richtig zu realisieren, aber auch zutiefst davon überzeugt, dass Du noch mit der Nabelschnur mit mir verbunden warst. Diese Verbindung ließ mich darauf vertrauen, dass Du erstmal noch Hilfe von mir bekommen und ein bisschen Zeit haben würdest. Für Deinen Papa war das Ganze viel schwieriger, da er das so richtig mitbekommen hatte. Nora und Matilde bebeutelten Dich und endlich fingst Du an zu schreien. Matilde war die zweite Hebamme, die uns in der Endphase der Geburt begleitete.
Ich stieg mit Dir aus dem Pool und wir legten uns mit Deinem Papa auf das Bett. Meine Vagina und vor allem meine Schamlippen brannten tierisch und ich konnte mich gar nicht richtig auf Dich konzentrieren. Nora und Matilde machten sich ein Bild von meinen Verletzungen. Ich bekam Schmerzmittel und irgendwann ein Schmerzspray. Du warst während der Zeit schon tierisch hungrig und trankst das erste Mal an meiner Brust.
Dein Papa nabelte Dich ab und nun musste ich nur noch die Plazenta gebären. Im Liegen funktionierte das überhaupt nicht gut, da ich meinen Beckenboden und alle zugehörigen Muskeln überhaupt nicht mehr gut ansteuern oder fühlen konnte. Im Sitzen klappte es mit dem Gebären der Plazenta und so bist Du offiziell erfolgreich geboren am 02.07.2022 um 15:31 Uhr. Ich war unfassbar erschöpft, hungrig, glücklich und stolz: „Wir haben eine Geburt gemeinsam gemeistert! Eine, wie ich sie immer erleben wollte“.

 



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